Arbeit im Kinderschutz – Vertrauen schaffen, Sicherheit bieten
Hinweise auf Kindeswohlgefährdung müssen von Eltern, Angehörigen oder Betreuungspersonen sehr ernst genommen werden. Bei Verdachtsfällen bieten offizielle Stellen wie das Jugendamt Unterstützung an. Dabei ist die Arbeit im Kinderschutz sehr komplex und trägt eine große Verantwortung in sich. Forschende der Hochschule Osnabrück engagieren sich in der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften für die Kinder- und Jugendarbeit. Ein Datenschutzleitfaden und ein neu entwickeltes Kindeswohlkonzept unterstützen die praktische Arbeit.
Praktische Leitfäden für Aus- und Weiterbildung
Deutsche Jugendämter haben 2020 nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes zirka 195.000 Gefährdungseinschätzungen vorgenommen. In jedem einzelnen Fall mussten die amtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entscheiden, ob Säuglingen, Kindern oder Jugendlichen körperliche und seelische Gefahren drohen. Ob die Eltern öffentliche Hilfe benötigen. Ob medizinische oder psychologische Expertise einzuholen ist. Oder ob das Familiengericht eingeschaltet wird, das den Erziehungsberechtigten gegebenenfalls das Sorgerecht entzieht. Tragische Einzelschicksale oder die jahrelangen Missbrauchsfälle von Lügde führen der Öffentlichkeit vor Augen, dass die Schutzmechanismen auch versagen können. Die Ermittlungen in Lügde zum Beispiel brachten schwere Versäumnisse bei Polizei, Jugendämtern und Familienhilfe-Organisationen ans Licht, Hinweisen wurde nicht nachgegangen, Akteninhalte manipuliert.
Große Unsicherheit beim Thema Datenschutz
„In der Praxis gibt es zum Teil eine große Unsicherheit beim Thema Kindeswohlgefährdung und Datenschutz“, erläutert Prof. Dr. Christof Radewagen von der Hochschule Osnabrück. Welche datenschutzrechtlichen Vorschriften haben Fachkräfte des Jugendamtes oder freier Jugendhilfeträger im Falle einer tatsächlichen oder vermuteten Kindeswohlgefährdung zu beachten? Unter welchen Voraussetzungen gilt die strafrechtliche Schweigepflicht? Der Professor für Soziale Arbeit führt aus, dass diese Unsicherheit mit dazu beitragen kann, dass Fachkräfte die für den Kinderschutz erforderlichen Hinweise bei Dritten nicht erheben beziehungsweise nicht an zuständige Stellen übermitteln. „Das bedeutet ganz konkret, dass die Betroffenen weiterhin misshandelt, vernachlässigt oder anderen Gefahren ausgesetzt werden.“
Leitfaden und Kindeswohlmatrix
Im Auftrag des niedersächsischen Sozialministeriums sowie des niedersächsischen Landesjugendamtes hat Christof Radewagen einen Leitfaden für die Praxis erarbeitet. Die Datenschutzbroschüre „Vertrauensschutz im Kinderschutz“ soll die Handlungssicherheit der Fachkräfte in diesem Bereich erhöhen. Der Leitfaden richtet sich an Jugendämter, die freie Jugendhilfe und an Schnittstellen wie medizinische Einrichtungen, Schulen, Beratungsstellen, Kindergärten oder Jugendzentren. Außerdem war der Experte für den Themenkomplex Kindeswohlgefährdung Mitglied der niedersächsischen Lügde-Kommission. Sie erarbeitete Empfehlungen für den Kinderschutz in Niedersachsen mit dem Ziel, strukturelle Fehler in Zukunft zu minimieren. Eine von Christof Radewagen entwickelte inklusive Kindeswohlmatrix ist dabei ein zentrales Element.
Aktuelle Gefährdungssituation besser einschätzen
„Mit dem noch jungen Konzept wollen wir Mitarbeitenden in Jugendämtern und bei Jugendhilfeträgern eine Art Schablone bieten, die sich über einen Fall legen lässt“, erläutert Christof Radewagen. „Dabei sind die von uns entwickelten Kinderschutzinstrumente allesamt inklusiv, sie berücksichtigen also auch die besonderen Schutzbedürfnisse von Kindern mit Beeinträchtigung oder Behinderung.“ Die Matrix vermittelt ein umfassendes Bild über die aktuelle Gefährdungssituation, in der sich die junge Person befindet, die „Erziehungsfähigkeit“ der Erziehungsberechtigten oder deren Fähigkeit und Bereitschaft zur Kooperation und Verhaltensänderung. Der Kinderschutzexperte arbeitete selbst 15 Jahre in der Jugendhilfe und kennt die anspruchsvolle Arbeit. Bis heute hat er rund 2.500 Einschätzungen des Gefährdungsrisikos bei freien und öffentlichen Jugendhilfeträgern inhaltlich begleitet, er weiß deshalb sehr genau, was die Praxis für ihre komplexe Arbeit im Kinderschutz benötigt. „Die Fachkräfte sind methodisch sehr gut aufgestellt und hochsensibilisiert für das Thema Kinderschutz. Sie müssen sich aber oft mit sehr komplexen Fällen auseinandersetzen.“ Den durchgängig positiven Rückmeldungen der Praxis zufolge macht die Kindeswohlmatrix die Fallbearbeitung durch ihre klare Struktur leichter und den Betroffenen gegenüber transparenter.“
Lehre und Praxisbegleitung im Kompetenzzentrum
Für einen wirkungsvollen Kinder- und Jugendschutz ist eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung unerlässlich. Die Hochschule Osnabrück hat einen innovativen Kinderschutz-Schwerpunkt für den Studiengang Soziale Arbeit entwickelt, um die Studierenden gezielt auf die Herausforderungen im Arbeitsalltag der Jugendhilfe vorzubereiten. Sie lernen unterschiedliche Methoden zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos, Handlungsmöglichkeiten zur Gefahrenabwehr, Rahmenbedingungen einer erfolgreichen Netzwerkarbeit im Kinderschutz sowie Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung kennen. An der Science to Busisness GmbH der Hochschule Osnabrück ist zudem das Kinderschutz-Kompetenzzentrum eingerichtet worden. Es wird von Prof. Dr. Radewagen geleitet. Mit seinem interdisziplinären Team unterstützt er Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe beim Aufbau und bei der Weiterentwicklung von Qualitätsstandards für erfolgreiche Kinderschutzverfahren.
Hier finden Sie weitere Informationen:
- Kinder- und Jugendschutz, Datenschutzbroschüre beim Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
- Abschlussbericht der Lügde-Kommission
Quelle: